Nebeneffekt der Pandemie: ein Boost für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung

Öffentlicher Dienst und DigitalisierungMit Inkrafttreten des OZG, Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen im Jahr 2017, sind laut §1 der Bund und die Länder verpflichtet, bis spätestens Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten.

Darüber hinaus sind sie verpflichtet, ihre Verwaltungsportale miteinander zu einem Portalverbund zu verknüpfen. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht daher seit Jahren auf dem Programm und schreitet kontinuierlich voran, mal schneller mal zäher.

Die Leistungen der öffentlichen Verwaltung finden pandemiebedingt überwiegend nicht mehr am Schalter statt.

Aufgrund der Pandemie und dem quasi Stilllegen der menschlichen Direktkontakte und somit der analogen Verwaltungsdienstleistung am Schalter hat sich auch die öffentliche Verwaltung größtenteils in die digitale Welt zurückgezogen. Umfragen ergaben, dass die Verwaltung in der Pandemie im Großen und Ganzen recht gut funktioniert hat, sicherlich auch mit einigen Abstrichen.

Was auf jeden Fall deutlich wurde im letzten Jahr ist, dass der Bedarf an digitalen Verwaltungsleistungen den Bürgern*innen gegenüber gestiegen ist und auch dass die interne Vernetzung der Behördenmitarbeiter*innen untereinander und ressortübergreifend viel wichtiger sind als früher. Auch die Verwaltungsmitarbeiter sind notgedrungen zu einem recht großen Anteil im Homeoffice, und es scheint auch hier zu funktionieren, dass man remote arbeiten kann – wenn auch noch viel Verbesserungspotential vorliegt (z.B. betreffend Infrastruktur, bessere Ausstattung mit mobilen Arbeitsmittel, Beseitigen „kultureller“ Bedenken und Kommunikationsschwierigkeiten).

Viele Digitalisierungsprojekte des öffentlichen Dienstes wurden bereits erfolgreich vollendet, andere stagnieren, nicht zuletzt aufgrund finanzieller Engpässe und mangels technischen Know-hows oder aus Mangel an IT-Ressourcen für die digitale Infrastruktur.

Doch auch hier wurde pandemiebedingt ein großer Schritt gemacht. Aufgrund des unterzeichneten Verwaltungsabkommens zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes („Dachabkommen“) stehen den Ländern seit dem 30. Januar 2021 im Rahmen des Konjunkturprogramms nun über eine Milliarde Euro aus dem Konjunkturpaket zur Verfügung, um die Verwaltungsdigitalisierung zu beschleunigen.

Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung mit sich?

In der nächsten Zeit stehen noch viele Projekte an, die aufgrund des föderalen Staatsaufbaus – sagen wir mal – „komplexe Herausforderungen“ mit sich bringen:

  • Es bedarf eines engen Zusammenwirkens vieler Akteure, je nach Projekt, auf Bundes- oder Länder und Kommunalebene, oder auch übergreifend. Es sind zeitintensive Projekte, die eine Vielzahl an Stakeholder haben, die sich abstimmen müssen. Das Koordinieren ist Aufgabe versierter und erfahrener Projektmanager*innen.
  • An vielen Stellen ist Offenheit für Innovation gefragt – die Bereitschaft dazu ist entscheidend für den Erfolg der Projekte.
  • Es muss zu einer Abkehr von über Jahren gewachsene Vorgehensweisen kommen. Ein Kulturclash Neu vs. Alt wird nicht ausbleiben.
  • Paradigmenveränderung betreffen auch die Führungskultur. Sind die Führungskräfte dazu bereit, loszulassen und dem Team mehr Verantwortung zu übertragen?

Digitalisierung als Chance für den gesamten öffentlichen Dienst

Die Digitalisierung kann auch als Chance gesehen werden, auch das Image der öffentlichen Verwaltung – als einen großen Teil des öffentlichen Dienstes, der als zu bürokratisch, schwerfällig und verkrustet angesehen wird, zu verbessern. Außerdem können Abläufe in der Verwaltungsarbeit automatisiert und agiler werden und so auch der Dienstleistungsgedanke den Bürgern*innen gegenüber verstärkt werden.

Nicht alle Bürger*innen werden in Zukunft nur in der digitalen Welt leben wollen.
Die ältere Generation wird sich nach der Pandemie voraussichtlich auf persönliche Termine freuen und diese wieder vermehrt wahrnehmen wollen – wer kann es ihnen auch verdenken? Die Bürger*innen, die sich allerdings in der digitalen Welt heimisch fühlen, werden die digitalen Angebote auch stärker in Anspruch nehmen, vorausgesetzt, die Applikationen sind nutzerfreundlich und intuitiv.

Um all diese bereits laufenden und noch geplanten digitalen Projekte auch umsetzen zu können, bedarf es auch im gesamten öffentlichen Dienst an unzähligen, stark umworbenen qualifizierten IT-Spezialisten*innen – z.B. für die Softwareentwicklung, für Infrastrukturthemen oder das Projektmanagement für die Steuerung von komplexen Digitalisierungsvorhaben.

Der Öffentliche Dienst als Arbeitgeber für IT-Spezialisten*innen

Wir sehen als Personalberater IT in der fortschreitenden Digitalisierung ein enormes Potential für den öffentlichen Dienst, als stabiler Arbeitgeber in einer turbulenten Zeit an Attraktivität zu gewinnen.

IT-Spezialisten*innen sind eine Mangelware auf dem Arbeitsmarkt. Die freie Wirtschaft sucht händeringend nach diesen Fachkräften. Unzählige Softwarefirmen und IT-Dienstleister buhlen um die gleichen Leute. Arbeitgeber, die heutzutage nicht nach agilen Methoden arbeiten, flach hierarchisch agieren und ein digitales Leadership Model leben, haben es schwerer in der Rekrutierung als Unternehmen, die den Mitarbeiter*innen in den Mittelpunkt stellen, in Entscheidungsprozesse einbeziehen, selbstverwaltend agieren lassen und dazu befähigen, mitzugestalten.

Dazu gehören auch ein kulturelles Selbstverständnis für das gelegentliche mobile und flexible Arbeiten bzw. dem Homeoffice (nicht nur in Pandemiezeiten) und ein vernetztes Mitarbeiten im Team mittels moderner Kollaborationstools.

Moderne Veränderungen in der Arbeits- und Führungskultur

Diese Paradigmen werden in den „Digitalisierungslaboren“, in denen nutzerfreundliche Online-Lösungen zur Umsetzung der OZG-Leistungen erarbeitet werden, gelebt. Doch spiegeln diese modernen, agilen und kreativen „IT-Hotspots“ nicht die klassische Verwaltung in Ämter und Behörden wieder. Die Arbeits- und Führungskultur im öffentlichen Dienst muss sich auch betreffend IT-Positionen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene verändern, damit diejenigen, die diese Kultur in der freien Wirtschaft kennen gelernt haben, einen Anreiz haben, zu wechseln. Niemand macht freiwillig Abstriche betreffend die fachliche und persönliche Weiterentwicklung.

Es wird auch keine Veränderung von heute auf morgen erwartet – das wäre realitätsfremd, aber die Bereitschaft im öffentlichen Dienst und der dazu gehörenden Verwaltung muss da sein, sich nicht nur digital zu modernisieren, sondern auch hinsichtlich des Miteinanders und der Arbeitsweise. Ein Zurück in die „alte Corona“- Arbeitsweise ohne mindestens gelegentliches mobiles Arbeiten oder Homeoffice mit einer guten Soft- und Hardwareausstattung und der Möglichkeit, sich über moderne Tools auszutauschen, sollte es auch im öffentlichen Dienst nicht geben.

Digital Readiness – Digitaler Reifegrad der Arbeitgebers: der Maßstab, an dem sich Stellensuchende der GenZ und gefragte und erfahrene IT-Spezialisten*innen orientieren

Digital Natives im Öffentlichen DienstEinen großen Fokus sollte auch der öffentliche Dienst als eine der größten Branchen auf die Young Potentials der Generation Z legen, die bereits oder demnächst auf den Arbeitsmarkt strömen. Es ist die Generation der „Digital Natives“, mit eigenen Erwartungshaltungen und Einstellungen: sie wollen auf Augenhöhe gesehen und ernst genommen werden, etwas Sinnvolles tun und früh mitgestalten.
Sie erwarten bei der Wahl des Arbeitgebers einen hohen Grad an Digitalisierung und eine Unternehmenskultur des Miteinander, der Transparenz und der offenen internen und externen Kommunikation). Die GenZ Mitarbeiter*innen möchten von Berufserfahrenen lernen, aber auch ihr eigenes digitales Wissen, ihre Authentizität und die Social Media Erfahrung und den Umgang damit einbringen.

Aus Personalberatersicht ist der öffentliche Dienst im Vergleich zu modernen Unternehmen der IT-Branche aus technologischer Sicht in vielen Bereichen noch ein Dinosaurier wenn es um moderne Technologien und Vorgehensweisen und Methoden wie Agile/Scrum/Lean geht, sowie hinsichtlich Führungskultur und modernen -paradigmen.
Die stark geförderten Digitalisierungsprojekte verpassen dem Dinosaurier jedoch Schritt für Schritt ein „Make-over“ in etwas Neues.

Die freie Wirtschaft bekommt auf absehbare Zeit auch betreffend Attraktivität des öffentlichen Dienstes als wirtschaftlich stabiler Großarbeitgeber nicht nur für IT-Spezialisten*innen Konkurrenz, wenn die Modernisierung auch intern Akzeptanz findet und die Ideen mitgetragen werden.

Die Transformation ist nämlich zu allererst Kopfsache. Und seit der Pandemie haben wir alle sehr viel Zeit zum Nachdenken.

Haben Sie noch Fragen oder Anmerkungen zur Digitalisierung im öffentlichen Dienst? Die EXECUTIVE SERVICES GROUP steht Ihnen als kompetenter Berater in der Branche Öffentlicher Dienst zur Verfügung. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns oder direkt mit Nora Schulz-Haring, Partnerin am Standort Karlsruhe auf.

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Über Nora Haring

Nora Schulz-Haring ist Gesellschafterin und Senior Consultant bei der SHH Personalberatung OHG, Partner der EXECUTIVE SERVICES GROUP in Karlsruhe. Seit 2001 ist sie verantwortlich für die Besetzung von Führungskräften und IT-Spezialisten. Seit ihrer Ausbildung zum Coach an der Berater-Akademie RKW Baden-Württemberg ist sie auch die Ansprechpartnerin im Bereich individuelles Coaching. Aufgrund kontinuierlicher persönlicher Weiterbildung, Teilnahme an HR-Fachmessen und Seminaren u.a. zum Thema New Work bei der Haufe Akademie und jahrelangen Geschäftsbeziehungen zu IT-Unternehmen, die erfolgreich erforderliche Transformationen in der Führungsmethodik und den Entwicklungsprozessen sowie der Gestaltung der Arbeitsumgebung eingeführt haben, fungiert Frau Schulz-Haring auch zu diesem wichtigen Thema rund um den Kulturwandel in der Arbeitswelt als kompetente Ansprechpartnerin und Impulsgeberin für den Bereich Personalentwicklung. Alle Beiträge von Nora Haring anschauen →